Würzburg (POW) Die Corona-Pandemie trifft besonders die verletzliche Landbevölkerung in Lateinamerika und der Karibik. Bei einer Online-Auftaktveranstaltung am Samstag, 28. November, im Vorfeld der bundesweiten Eröffnung der Adveniat-Weihnachtsaktion 2020 diskutierten Experten über „Globale Abhängigkeiten im Sojaanbau“, „Globale und lokale Folgen des Klimawandels“ und „Prekäre Gesundheitsversorgung auf dem Land“. Bischof Bernardo Johannes Bahlmann aus Würzburgs brasilianischem Partnerbistum Óbidos sprach über seine Erfahrungen zum Thema „Leitungskonzepte aus Amazonia“. Bischof Dr. Franz Jung bat um Gebet und Spenden für die Aktion. Zugleich betonte er: „Es geht schon lange nicht mehr nur um das Helfen und Unterstützung, sondern darum, miteinander zu leben. Wir können selbst etwas von der Spiritualität, der Naturverbundenheit und dem guten Leben erfahren und damit auch wertvolle Anregungen für unser Leben hier gewinnen.“ Die Aktion des katholischen Hilfswerks, die bundesweit am ersten Adventssonntag, 29. November, im Bistum Würzburg mit dezentralen Gottesdiensten eröffnet wird, steht unter dem Motto „ÜberLeben auf dem Land“. Sie blickt besonders auf die Situation der Landbevölkerung.
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Agraringenieur Jürgen Unsleber (Baldersheim) gab einen Einblick in die Komplexität des weltweiten Sojaanbaus. Mehr als 80 Prozent der weltweiten Sojaproduktion kämen vom amerikanischen Kontinent. In Brasilien seien hierfür enorme Mengen an Pflanzenschutz- und Düngemitteln nötig. In Deutschland sei der Sojaanbau sehr umweltfreundlich und der Ertrag höher, doch gebe es unter anderem aufgrund von Umweltprogrammen und der Versiegelung der Landschaft immer weniger Ackerflächen. Der Weizenertrag in der Würzburger Region betrage neun Tonnen pro Hektar, in Südamerika drei Tonnen pro Hektar, erklärte Unsleber. „Jeder stillgelegte Hektar in Deutschland kostet uns drei Hektar in Brasilien“, rechnete er vor. Ministerpräsident Markus Söder wolle in den nächsten fünf Jahren 30 Millionen Bäume pflanzen lassen. „Besser wäre es, nicht jedes Jahr Millionen von Hektar Regenwald anzuzünden“, sagte der Agrarexperte. Landvolkseelsorger und FIMARC-Präsident Wolfgang Scharl forderte unter anderem die Stärkung der familiären Landwirtschaft und ein Ende des Diktats der Gewinnmaximierung: „Wir dürfen Lebensmittel nicht vorrangig als Waren ansehen, sondern als Mittel zum Leben.“ Auch der Verbraucher habe Macht, indem er bewusst einkaufe – fair, regional, saisonal und nachhaltig.
Die globalen und lokalen Folgen des Klimawandels skizzierte Dr. Jessica Strefler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Erderwärmung führe zu „Extremwetterereignissen“ wie Hitzewellen, Dürren, aber auch extremen Niederschlägen. „Wir merken jetzt schon weltweit die Folgen.“ Das arktische und antarktische Eis, die Gletscher, aber auch die tropischen Korallenriffe und der Amazonas-Regenwald seien in Gefahr. „Wir müssen es schaffen, deutlich unter einer Erderwärmung von zwei Grad zu bleiben.“ Dazu müsse unter anderem so schnell wie möglich der Anstieg der Emissionen zunächst gestoppt, dann gesenkt werden. Im Jahr 2050 müsse der Wert bei null Emissionen liegen. „Das ist eine große Herausforderung, aber machbar“, sagte Strefler. Wie jeder Einzelne dazu beitragen kann, dazu hatte sich Mariam Rube von „Fridays for Future“ Gedanken gemacht: durch den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, den Bau von Radwegen und den Umstieg auf erneuerbare Energien. „Wir sollten uns alle bemühen, möglichst schnell zu handeln“, appellierte sie.
Michael Kuhnert, Geschäftsführer des Missionsärztlichen Instituts Würzburg, berichtete in seinem Beitrag „Viele Kilometer zwischen Krankheit und Gesundheit“ über die prekäre Gesundheitsversorgung auf dem Land in Lateinamerika. Schon die Lebensumstände der dortigen Bevölkerung seien schwierig. So fehle es zum Beispiel an sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen. Dazu kämen die enormen Distanzen. „In manchen Gegenden kommt man nur mit dem Muli zu einer Gesundheitsstation. Es gibt zu wenige Ambulanzfahrzeuge und Rettungsschiffe.“ Die Gesundheitsstationen seien schlecht ausgestattet, es fehle an Fortbildungen für das Personal und an Medikamenten. In der Amazonasregion kämen auf 1000 Einwohner gerade mal 0,8 Ärzte. Die Corona-Pandemie verschärfe die Situation. „Gerade jetzt ist es wichtig, generös zu sein und die Hilfswerke zu unterstützen“, appellierte Kuhnert. Professor Dr. August Stich, Chefarzt der Tropenmedizin am Klinikum Würzburg Mitte Missionsklinik Würzburg, warnte davor, Gesundheit als reines Geschäft zu betrachten. Auch in den ländlichen Regionen Unterfrankens sei mittlerweile ein Ärztemangel spürbar. „Corona macht die Schwächen im Gesundheitssystem deutlich.“
„Gemeinden auf Entfernung“ lautete das Thema von Bischof Bahlmann. Aufgrund des Priestermangels habe sich in der Amazonasregion eine starke Laienkirche entwickelt, erzählte er. „Die Ämter und die Verantwortung liegen fast immer in den Händen der Laien, vor allem der Frauen.“ Ein wichtiger Aspekt sei das „bom viver“ – das gute Leben – im Einklang mit sich selbst, den Mitmenschen, der Schöpfung und Gott. „Es ist sehr wichtig, dass jeder weiß, was seine Aufgabe und Berufung ist, und dass wir das anerkennen und fördern. Gerade Adveniat unterstützt uns sehr bei der Aus- und Fortbildung der Laien“, sagte Bischof Bahlmann. Bischof Jung sah in Bezug auf die künftigen Pastoralen Räume im Bistum Würzburg drei wichtige Punkte für die Zukunft: die Stärkung des Gebets, die Verkündigung des Glaubens an neuen Orten und der konkrete Dienst an den Menschen in der Seelsorge. Lydia Hessenauer und Pfarrer Kurt Wolf aus der Pfarreiengemeinschaft „Heilig Geist – Rauhenebrach“ beschrieben das Modell des „Tandems“: In jedem der insgesamt 15 Ort gebe es jeweils zwei Personen, die sich um die Pastoral beziehungsweise die Kirchengüter kümmerten.
Es sei ein „spannender und lehrreicher Nachmittag“ gewesen, sagte Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Michael Heinz. Adveniat verstehe sich als Brücke zwischen Deutschland und Lateinamerika. „Wir setzen uns für gegenseitiges Lernen und Lehren ein.“ Doch jede und jeder Einzelne sei gefragt, sich zu engagieren. „Wir hoffen auch in diesem Jahr, gerade in diesem Jahr, auf ihre Unterstützung.“
In seinem Video-Grußwort zu Beginn der Veranstaltung zitierte Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt Papst Franziskus: „Der Einsatz für die Armen ist keine bloße Option, sondern eine Notwendigkeit für authentischen Glauben.“ Alle Menschen seien aufgerufen, ihren Beitrag zu leisten. „Der Glaube zeigt sich im Tun. Adveniat ermöglicht es uns, am Reich Gottes mitzubauen.“ Landrat Thomas Eberth betonte: „Nur wenn wir Gerechtigkeit für alle erreichen, dann kann auch Friede in unsere Welt kommen.“ Adveniat sei ein Garant dafür, dass die Spenden auch verlässlich dort ankommen, wo sie benötigt werden.
Der komplette Livestream kann im Internet angesehen werden.
sti (POW)
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