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Zwei Bistümer, zwei Kontinente, ein Geist

Zehn Jahre diözesane Partnerschaft Würzburg-Óbidos – Interview mit Weltkirchenreferent Alexander Sitter im Würzburger Katholischen Sonntagsblatt

Die Bistümer Würzburg und Óbidos in Brasilien feiern in diesem Jahr das zehnjährige Bestehen ihrer Partnerschaft. Alexander Sitter ist Diözesanreferent für Weltkirche im Bistum Würzburg und für die Partnerschaft mit der Diözese Óbidos zuständig. Er hat die Stelle seit vier Jahren inne und war seitdem selbst zweimal in Óbidos. Im Interview erzählt er von den Anfängen der Partnerschaft, wie sie sich entwickelt hat und was wichtige Themen in der Partnerdiözese sind.

Die Bistümer Würzburg und Óbidos sind jetzt seit zehn Jahren Partnerdiözesen. Was macht die Partnerschaft aus?

Das erste was mir einfällt, ist die lange Vorgeschichte. Im Amazonasgebiet gab es deutsche Missionarinnen und Missionare. Aus Würzburg waren dort zwei: Schwester Brunhilde Henneberger aus Randersacker und Schwester Joanita Sell aus Hammelburg. Zu Beginn ihres Missionseinsatzes hat man noch gar nicht an Partner­schaft gedacht. Allerdings haben die beiden Schwestern dort gewirkt und die Beziehung in die Diözese Würzburg und in ihre Heimatdörfer gehalten. Wir – die damaligen Kolleginnen und Kollegen, besonders zu erwähnen ist hier Christiane Hetterich – wurden dann auf die beiden starken Frauen aufmerksam. Zudem hat es sich ergeben, dass Bernardo Johannes Bahlmann OSF – auch Deutscher – in Óbidos Diözesanbischof wurde. Er arbeitete schon viele Jahre in Brasilien, bevor er zum Bischof am Amazonas ernannt wurde. Wir haben zueinander gefunden und geben dem Miteinander nun Gestalt. Diese alte Beziehung über die Sternschwestern ist heute das Fundament der Partnerschaft. Für uns ist es ein Glücksfall, dass wir so enge Beziehungen in diese einzigartige Region haben.

Warum einzigartig?

Vom Klimaschutz her betrachtet, ist die Amazonasregion eine der Kipppunkt-Regionen, ein fragiles, hochdiverses Gebiet. Wenn dieses Gebiet zerstört wird – ich glaube 17 Prozent sind abgeholzt, von der Erreichung des Kipppunktes spricht man bei etwa 25 Prozent – weiß keiner, was mit dem Weltklima passiert. Von daher ist der Fokus der Welt auch auf dieses Gebiet gerichtet. Und wir sind mit dem Partnerbistum mittendrin.

Wie hat sich die Partnerschaft denn in den vergangenen zehn Jahren entwickelt?

Durch Kontakt mit den Menschen, durch Besuche. Immer wieder sind Würzburger – seien es Engagierte aus Pfarreien, pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder Jugendgruppen – nach Óbidos gefahren. Auch durch die Präsenz von Bischof Bahlmann im Bistum, der immer wieder hier in Deutschland ist und die Partnerschaft „verkörpert“, wenn er hier firmt oder bei wichtigen Meilensteinen der Diözese Würzburg gegenwärtig ist. Zum Beispiel war er bei der Einführung von Bischof Franz anwesend. Und natürlich kamen auch Brasilianer – Engagierte aus den Gemeinden, mit denen man sich befreundet hat, in Beziehung getreten ist. Der Freiwilligendienst ist ein ganz wichtiger Punkt, den ich auf keinen Fall außer Acht lassen darf: Junge Deutsche, die ein Jahr nach Óbidos gehen – und junge Brasilianer, die hierherkommen und sich ein Jahr einbringen. Das weltwärts-Programm, finde ich, wird erst rund, wenn aus Brasilien junge Menschen kommen und jemand aus Deutschland nach Brasilien geht.

Sind auch lokale Partnerschaften entstanden, also zum Beispiel zwischen Gemeinden?

Ja, wir haben mittlerweile zwei Partnerschaften und würden gerne noch mehr initiieren. Es gibt eine Familienpartnerschaft zwischen Zellingen und der Pfarrei São Francisco - Santa Clara. Die zweite Partnerschaft ist zwischen Hammelburg und der Pfarrei in Juruti Velho. Das ist schon eine tolle Entwicklung. Schulpartnerschaften erachte ich als schwierig, weil man Portugiesisch können muss. Das ist hier nicht so die Hip-Sprache, da wäre Spanisch schon idealer. Vielleicht gelingt es uns aber dennoch, etwas im Bereich Schule, Schulpartnerschaften aufzubauen.

Was ist das Ziel dieser örtlichen Partnerschaften?

Der Austausch, das Voneinander-Wissen, auch im Sinne dessen, was Papst Franziskus immer wieder schreibt: Alles ist miteinander verbunden. Ich könnte mir vorstellen, dass schon allein das umeinander Wissen in Bezug auf diese fragile Region dazu führt, dass wir mit manchen Gütern sensibler umgehen. Zum Beispiel Aluminium: Juruti Velho liegt am Rand eines Bauxit-Abbaugebiets. Bauxit ist der Grundstoff für Aluminium. Das hat dazu geführt, dass Hammelburg einen Alu-Fasten-Kalender veröffentlicht hat. Sprich, man weiß um den Partner, man weiß, was dort abgebaut wird, welche Zerstörung geschieht, und ist sensibler. Zum Beispiel wenn man sein Teelichtchen kauft: Kauft man noch eins mit Aluhülle? Alu ist ein so wertvoller Stoff, dass er viel zu schade ist, um Teelichtchen da reinzupacken und ihn dann wegzuwerfen.

Noch mal direkt nach Óbidos. Ist die Kirche in Óbidos anders als die in Deutschland?

Der liturgische Ablauf ist römisch-katholisch und weltweit gleich, das gibt Heimat. Mitfeiernde wissen sofort, wo man ist, können mitbeten; man kann sich wirklich weltweit daheim fühlen. Was mir in Óbidos als Besonderheit auffällt, sind die Rhythmen. Sobald Musik erklingt, fangen die Menschen an, sich auch im Gottesdienst zu bewegen. Das ist schön, das macht den Gottesdienst lebendig. Und dieses Einbringen von sich selbst als Person, zum Beispiel durch den Evangeliumstanz, finde ich sehr, sehr mitreißend. Bei uns sind die Gottesdienste diesbezüglich doch immer eher steif und sehr vorgeformt.  

Die Katholikenzahl sinkt nicht nur bei uns, sondern auch in Brasilien. Verursacht das im Bistum Óbidos Sorgen?

Bischof Bahlmann und ich kommen immer wieder ins Gespräch, weniger über die sinkende Katholikenzahl, als vielmehr über das wachsende Aufkommen von sogenannten Pfingst- oder evangelikalen Kirchen. Dadurch, dass es keine feste Kirchenzugehörigkeit gibt wie „Ich bin katholisch, ich bin evangelisch bis in den Gehaltszettel hinein“, geschieht auch so etwas wie „Kirchenhopping“: Also wer heute in einer evangelikalen Kirche ist, kann morgen wieder zur katholischen Kirche wechseln. Oder er besucht dort sowieso den Gottesdienst, weil der Großteil der Familie katholisch ist. Zu den sinkenden Katholikenzahlen kann ich jetzt dezidiert gar nichts sagen. Aber die Konkurrenz ist groß, und es gibt schon eine Abwanderung zu diesen Bewegungen.

Können Sie einschätzen, wie die Leute im Partnerbistum auf die Kirche und die Kirchenstrukturen hier in Deutschland schauen?

Gar nicht. Wenn ich das normale, das alltägliche Kirchenpublikum in den Blick nehme, würde ich sagen, die schauen nicht nach den deutschen Strukturen. Sie  freuen sich, wenn Gäste aus Deutschland kommen, weil das sehr konkret und sehr von dem Wunsch nach Beziehung getragen ist. Aber im Alltag spielt es überhaupt keine Rolle; da ist man ausgelastet. Man braucht nicht noch nach der deutschen Kirche zu schauen. Das ist dann eher Aufgabe der Kirchenspezialisten, der Theologen, die sich um den Synodalen Weg in Deutschland Sorgen machen. Meine Aussage trifft dann nicht mehr zu, wenn es um ein konkretes Miteinander geht, denn dann wird immer wieder für den Partner gebetet oder ein Kirchenfest aus der Ferne mitgefeiert.

Was sind denn wichtige Themen im Partnerbistum? Sie haben vorhin schon mal die Umwelt erwähnt. Gibt es darüber hinaus Themen, die besonders wichtig sind?

Der Zuzug, die Städte wachsen. Die Menschen haben keine gesicherte Einkunftsmöglichkeit, weil sie eher als Tagelöhner beschäftigt werden. Was mir selber immer wieder aufgefallen ist: die Menge an Kindern und Jugendlichen in Ortschaften. Da frage ich mich: Welche Zukunft wird diese Masse an Jugendlichen haben? Weil ja doch die Verlockung groß ist, immer mehr zu haben, also Telefon, Fernsehen, gerade materielle Güter – wie wird sich das entwickeln? Bekommen die jungen Leute dort eine Zukunft oder bekommen sie eine Zukunft vorgegaukelt, die sie dann vielleicht in die Großstädte zieht, wo es auch Slums und Ausbeutung gibt? Umwelt, Zukunft junger Menschen, wachsende Städte – das sind drei ganz große Punkte, die mir immer wieder auffallen.

Vom Leben in Brasilien zurück zur Partnerschaft. Was sind bisher die Erträge der Partnerschaft?

Die Partnerschaft ist ein Prozess, der die letzten zehn Jahre sehr viele Früchte getragen hat; sehr viele Meilensteine wurden gesetzt. Da sind die gegenseitigen Besuche: Man wurde aufeinander aufmerksam, hat eine ganz andere Realität kennen- und schätzen gelernt. Die Gastfreundschaft, das einfache Leben und auch die Brasilianer, die sagen: „Ihr seid sehr gut versorgt hier in eurem Deutschland“. Früchte sind natürlich die lokalen Partnerschaften, die, anders als ein Besuch, längerfristig angelegt sind. Vielleicht kommt es auch wieder einmal zu einem Austausch, dass Brasilianer oder auch Deutsche für einen umschriebenen Zeitraum von beispielsweise einem halben Jahr in der Partnerpfarrei leben und sich dort einbringen.  

Hat Würzburg in den Jahren der Partnerschaft etwas von Óbidos gelernt oder vielleicht sogar übernommen? Und wie sieht es umgekehrt aus?

Das voneinander Lernen ist so ein ehernes Ziel. Ich denke mittlerweile, die Realitäten sind so grundverschieden und die Distanzen sind so groß, dass man ganz schnell wieder in seinen jeweiligen Alltag verfällt. Man kommt sehr begeistert zurück, aber entdeckt dann, dass die eigene Realität komplett anders ist. Für mich ist es wichtig, dass ich weiß, ich habe einen Partner in der Amazonasregion. Ich kann dort fragen, wenn ich etwas wissen möchte über die Amazonasregion. Ich denke auch, es ist schön, dass die Menschen in Óbidos wissen, wir haben einen Partner in Würzburg und wir können uns  drauf verlassen, dass uns Unterstützung zugute kommt. Als Beispiel nenne ich hier begeistert die „Tütenaktion“ in der Corona-Pandemie: Wir waren hier abgesichert, haben unsere Corona-Zulage bekommen, durften ins Homeoffice gehen und haben gleichzeitig versucht, die Not möglichst vieler Menschen in Óbidos ­abzufangen, indem wir einen Teil unseres Geldes gegeben haben für Lebensmitteltüten, um Bedürftige mit den Grundnahrungsmitteln zu versorgen. Das war eine ziemlich große und schnelle Aktion. Das voneinander Lernen möchte ich nicht abtun und auch nicht zu Seite legen. Aber vielleicht braucht es da noch mehr Fläche, vielleicht sogar Reibungsfläche – da kann der weltweite Synodale Prozess Chancen bieten. Ich nehme einen ziemlichen Drive in Lateinamerika, in Brasilien wahr. Die Fragestellungen und die Auseindersetzung gehen bis in die Gemeinden. Bei uns erlebe ich den Synodalen Weg, der ebenfalls gut und wichtig ist, aber er ist auf einer anderen Ebene angesiedelt. Nun wird versucht, ihn und die Themen  in den weltweiten Prozess hineinzupacken. Vielleicht ist das so ein Moment, wo man Anknüpfungspunkte hat und die Möglichkeit, voneinander zu lernen.

In die Zukunft gedacht – was sind Ziele der Partnerschaft? Wie soll es weitergehen?

Ziele für die Zukunft kann ich, mag ich gar nicht sagen. Corona hat uns ja mächtig einen Strich durch unser aller Planungen gemacht. Die Flugpreise sind mittlerweile so in die Höhe geschnellt, dass wir gar nicht wissen, wann und wie oft wir hin- und herfliegen können. Ich glaube, wir müssen jetzt ins Wahrnehmen kommen und ins Reagieren auf das, was wir wahrgenommen haben. Vielleicht wird in Zukunft ganz viel Begegnung über Videokonferenzen stattfinden. Eines meiner Ziele ist, dass wir ganz viele Begegnungsmöglichkeiten schaffen – über die Freiwilligen, über Reisen, insofern das möglich sein wird. Wie bekommen wir es gut hin, über die neuen Medien Begegnung zu schaffen, über Kunst Begegnung zu schaffen, vielleicht auch über Musik Begegnung zu schaffen? Es geht darum wahrzunehmen, wie sich was entwickelt, wie es sich darstellt. Und dann darauf gemeinsam zu reagieren.

Interview: Anja Behringer

Jubiläumsfeier: Gefeiert wird das Jubiläum der Partnerschaft am 16. Oktober beim Weltmissionssonntag der Abtei Münsterschwarzach. Nach dem Festgottesdienst um 10 Uhr in der Abteikirche gibt es am Nachmittag ein buntes Programm auf dem Abteigelände. Auf eine Podiumsdiskussion über die Pastoral am Amazonas um 16 Uhr folgt um 17 Uhr ein Vespergottesdienst in der Abteikirche.